Mitwirkung von Patienten an der Forschung

Wie ist es überhaupt zur Mitwirkung von Patienten an der Forschung gekommen? In Kapitel 3 haben wir beispielsweise dargelegt, dass die Therapieexzesse, die Brustkrebspatientinnen früher zugemutet wurden, sowohl aufseiten einer neuen Art von «Arzt-Wissenschaftler» als auch aufseiten der Patientinnen zu neuen Denkanstößen und Veränderungen geführt haben. Ärzte und Patienten arbeiteten zusammen, um wissenschaftliche Belege beizubringen, die einerseits strengen wissenschaftlichen Standards genügten und andererseits den Bedürfnissen der Frauen Rechnung trugen. Als Frauen die Praxis der radikalen Mastektomie infrage zu stellen begannen, gaben sie damit zu verstehen, dass es ihnen um mehr als die Bekämpfung ihrer Krebserkrankung ging: Sie verlangten auch ein Mitspracherecht bei den Strategien, mit denen wirksame Wege zur Bewältigung der Krankheit gefunden werden können.

Für diejenigen Patienten und Mitglieder der Öffentlichkeit, die in vollem Umfang als «Co-Wissenschaftler» mitwirken wollen, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. Sie können sich individuell oder als Mitglied einer Selbsthilfegruppe einbringen, oder sie können an einer moderierten Gruppenaktivität wie z. B. einer Fokusgruppe teilnehmen. Unabhängig von der Form ihrer Mitwirkung kann es mit Sicherheit nicht schaden, wenn sie sich mit den praktischen Grundlagen der Forschungsmethodik vertraut machen, damit sie sich selbstbewusst und effektiv in die Partnerschaft mit Ärzten und anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen einbringen können. Und dafür brauchen sie hochwertige Informationen und Schulungen, die auf ihre Rolle zugeschnitten sind. Wir werden in Kapitel 12 erklären, warum es für das richtige Verständnis so überaus wichtig ist, wie diese Informationen – insbesondere, was die Statistik betrifft – dargeboten werden. Zudem gibt es noch zahlreiche andere, weniger herausragende Möglichkeiten, wie Patienten und Öffentlichkeit einen Beitrag zu den Forschungsanstrengungen leisten können – vor allem dann, wenn es gelingt, eine Kultur der Zusammenarbeit zu entwickeln, welche die Erkenntnisse und Beobachtungen aus Sicht des Patienten anerkennt.

Der aktive «Patient-Wissenschaftler» von heute kann dankbar auf die wegweisenden Leistungen der ersten «Patientenpioniere» zurückblicken, die erkannt haben, dass sie für sich eintreten und den Status quo infrage stellen müssen – und dass sie, um dies tun zu können, präzise Informationen benötigten. So machte sich beispielsweise in den USA Anfang der 1970er-Jahre eine kleine Gruppe von Brustkrebs-Patientinnen unter der Leitung von Rose Kushner daran, sich weiterzubilden, um wirksam eingreifen zu können. Anschließend führten sie Schulungen für andere Frauen durch. Kushner war Brustkrebs-Patientin und freie Autorin, und sie stellte Anfang der 1970er-Jahre das traditionell autoritäre Arzt-Patient-Verhältnis und die Notwendigkeit der radikalen Brustoperation infrage. [12] Auf der Grundlage ihrer gründlichen Bewertung der Erkenntnisse über die Wirkungen der radikalen Mastektomie verfasste sie ein Buch. Gegen Ende des Jahrzehnts hatte sie einen solchen Einfluss und eine solche Anerkennung errungen, dass sie in Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen National Cancer Institute Vorschläge für neue Forschungsvorhaben prüfte. [13] Ähnlich veranlasste auch in Großbritannien der Informationsmangel Frauen dazu, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. So rief etwa Betty Westgate in den 1970er-Jahren die Mastectomy Association ins Leben, und in den 1980er-Jahren gründete Vicky Clement-Jones die Wohltätigkeitsorganisation CancerBACKUP (mittlerweile Teil von Macmillan Cancer Support).

Das Thema AIDS mithilfe von Laien neu überdenken
«Glaubwürdigkeitskämpfe in der AIDS-Arena finden an mehreren Fronten statt: Es sind ungewöhnlich viele Parteien beteiligt. Und dass sich Laien in die Verkündung und Beurteilung wissenschaftlicher Behauptungen einmischen, hat das, was wir über AIDS zu wissen glauben, mitgeprägt – genauso, wie es auch dazu beigetragen hat, unser Verständnis darüber, wer als ‹Laie› und wer als ‹Experte› anzusehen ist, infrage zu stellen. Stets geht es dabei um die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Wissensansprüche oder Wortführer. Im Kern geht es jedoch darum, wie eigentlich Glaubwürdigkeit festgestellt wird: Wie wird über wissenschaftliche Behauptungen entschieden, und wer trifft diese Entscheidungen? [Wie diese Studie zeigt,] sind Debatten innerhalb der Wissenschaft gleichzeitig auch Debatten über die Wissenschaft und wie sie betrieben werden sollte – bzw. wer sie betreiben sollte.»

Epstein S. Impure science: AIDS, activism and the politics of knowledge. London: University of California Press, 1996.

Ende der 1980er-Jahre hatten mit HIV infizierte oder an AIDS erkrankte Menschen in den USA erstaunlich viel Wissen über ihre Krankheit angehäuft. Politisch waren sie darauf ausgerichtet, ihre Interessen gegen das Establishment zu verteidigen, wodurch sie Patienten den Weg zur Mitbestimmung über das Design von Studien ebneten. Diese Mitsprache führte schließlich dazu, dass den Patienten in den Studien verschiedene Behandlungsoptionen und flexible Studiendesigns angeboten wurden, um sie zur Teilnahme an Studien zu ermutigen. Diesem Beispiel folgte man Anfang der 1990er-Jahre in Großbritannien, als man eine AIDS-Patientengruppe an Studien beteiligte, die am Chelsea and Westminster Hospital in London durchgeführt wurden: Die Patienten halfen bei der Auswahl des richtigen Studiendesigns. [14]

Diese AIDS-Aktivisten ließen die Studienleiter aufhorchen: Was manche Wissenschaftler als ein durch organisierte Patientengruppen verursachtes Chaos ansahen, war genau genommen die legitime Infragestellung der Interpretation von Unsicherheit durch die Wissenschaftler. Bis dahin hatten die Wissenschaftler bei ihrem Vorgehen die von Patienten bevorzugten Studienzielgrößen schlicht übersehen. Andererseits lernten die Patienten einzuschätzen, welche Gefahren damit verbunden sind, wenn man vorschnell über die Wirkungen neuer Medikamente urteilt und den Forderungen nach Zulassung eines «vielversprechenden» neuen AIDS-Medikaments nachgibt, bevor es einer strengen Prüfung unterzogen wurde. Die Wissenschaftler mögen eingewendet haben, dass eine solche «mitfühlende Zulassung» (engl. compassionate release) neuer Medikamente die Qual der Ungewissheit für gegenwärtige und zukünftige Patienten nur verlängere. Die Patienten hielten jedoch dagegen, dass dadurch sowohl bei Patienten als auch Wissenschaftlern letztendlich die Einsicht beschleunigt wurde, dass wir besonnene, kontrollierte Therapiebewertungen brauchen, die gemeinsam geplant werden und die die Bedürfnisse beider Seiten berücksichtigen. [15]

In den 1990er-Jahren hat besonders eine AIDS-Studie sehr eindrücklich gezeigt, wie wichtig es ist, Patienten an der Forschung zu beteiligen. Sie fiel in die Zeit, als das Medikament Zidovudin gerade erst zur Behandlung von AIDS zugelassen worden war. Es gab fundierte Belege für eine positive Wirkung bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung. Die naheliegende Frage lautete nun, ob sich die Krankheitsprogression hinauszögern und die Überlebensdauer verlängern ließe, wenn Zidovudin bereits in einem früheren Infektionsstadium verabreicht würde. Um diese Möglichkeit zu prüfen, wurden sowohl in den USA als auch in Europa Studien auf den Weg gebracht. Die US-Studie wurde vorzeitig abgebrochen, als sich ein möglicher, aber noch ungewisser positiver Effekt ergab. Trotz der in den USA erzielten Ergebnisse wurde die europäische Studie unter aktiver Beteiligung und mit Zustimmung der Patientenvertreter bis zum Erreichen eines eindeutigen Endpunkts fortgeführt. Ihre Schlussfolgerungen waren grundverschieden: Die frühzeitige Gabe von Zidovudin im Infektionsverlauf brachte anscheinend keinerlei Nutzen. Die unter diesen Umständen einzigen eindeutigen Effekte des Medikaments waren seine unerwünschten Nebenwirkungen. [16]