12. Wodurch zeichnet sich eine bessere Gesundheitsversorgung aus?
In den vorangehenden Kapiteln haben wir anhand zahlreicher Beispiele veranschaulicht, warum Therapien sich auf solide Forschung stützen sollten und können – auf Forschung also, die auf die Untersuchung patientenrelevanter Fragen ausgelegt ist. Ganz gleich, ob wir Teil der Öffentlichkeit oder Patienten oder im Gesundheitswesen beschäftigt sind: Auf die eine oder andere Weise gehen die Wirkungen medizinischer Behandlungen uns alle an. Und dabei spielt robuste Evidenz aus fairen Therapietests eine wirklich wichtige Rolle.
In diesem Kapitel gehen wir der Frage nach, wie solche Evidenz die Praxis der Gesundheitsversorgung mitgestalten kann, damit Ärzte und Patienten gemeinsam über die Behandlung Einzelner entscheiden können. Gute Entscheidungen sollten auf solider Evidenz basieren, die uns über die wahrscheinlichen Konsequenzen verschiedener Behandlungsmöglichkeiten aufklärt. Allerdings haben diese Konsequenzen für verschiedene Menschen jeweils eine unterschiedliche Bedeutung und einen unterschiedlichen Stellenwert. So gesehen kann der eine Patient auf der Grundlage derselben Evidenz zu einer ganz anderen Entscheidung gelangen als ein anderer Patient. Beispielsweise kann für einen Berufsmusiker ein voll funktionsfähiger Finger, für einen Chefkoch ein gut ausgebildeter Geruchssinn und für einen Fotografen ein gutes Sehvermögen sehr viel wichtiger sein als für andere Menschen. Um ein für sie besonders wichtiges Behandlungsergebnis zu erzielen, sind sie unter Umständen bereit, größere Anstrengungen oder größere Risiken in Kauf zu nehmen. Die Schnittstelle zwischen Evidenz und Entscheidungen ist so komplex, dass sich ein Großteil dieses Kapitels einigen der öfter auftretenden Fragen zu diesem Problem widmet.
Zuvor wollen wir uns jedoch näher mit Shared Decision Making befassen und darlegen, wie eine solche «partizipative Entscheidungsfindung » in der Praxis aussehen könnte. Bei einer solchen partnerschaftlichen Entscheidungsfindung handelt es sich um einen Mittelweg zwischen ärztlichem Paternalismus auf der einen und Patienten sich selbst zu überlassen auf der anderen Seite. Patienten beklagen sich regelmäßig über mangelhafte Informationen, doch haben sie verständlicherweise unterschiedliche Vorstellungen davon, wie viel Verantwortung sie dabei zu übernehmen bereit sind. [1, 2]
Partizipative Entscheidungsfindung (Shared Decision-Making) |
«Partizipative Entscheidungsfindung wird definiert als «der Prozess der Einbeziehung von Patienten in medizinische Entscheidungen». Dem Anspruch nach sind Ärzte darum bemüht (bzw. sollten es sein), Probleme hinreichend deutlich und offen zu beschreiben, damit Patienten die Unsicherheiten, mit denen die meisten Entscheidungen in der Medizin behaftet sind, verstehen und so gesehen auch nachvollziehen können, dass es hier Entscheidungen zwischen konkurrierenden Möglichkeiten zu treffen gilt. Die ärztliche Expertise liegt in der Diagnosestellung und dem Aufzeigen der Behandlungsoptionen nach klinischen Prioritäten; die Aufgabe des Patienten ist es, seine Wertvorstellungen und persönlichen Prioritäten, die von seinen jeweiligen sozialen Umständen geprägt sind, auf wohlinformierter Grundlage zu erkennen und mitzuteilen.»
Aus: Thornton H. Evidence-based healthcare. What roles for patients? In: Edwards A, Elwyn G, eds. Shared decision-making in health care. Achieving evidence-based patient choice. Second edition. Oxford: Oxford University Press, 2009, S. 39. |
Manche Patienten ziehen es vor, nicht allzu genau über ihre Krankheit und ihre Behandlungsoptionen informiert zu werden, und überlassen die Entscheidungen darüber lieber ihrem beratenden Arzt; aber es gibt auch viele, die gern mehr wissen möchten. Wer sich weitergehend informieren wollen, sollte Zugang zu sorgfältig formulierten Informationsmaterialien erhalten und sich an erfahrene Gesundheitsfachkräfte wenden können, die sie dazu beraten können, wie und wo sie diese Informationen in dem für sie geeigneten Format erhalten können.
Was die «ideale ärztliche Konsultation» ausmacht, kann sich von Patient zu Patient stark unterscheiden. Manche Leute sind damit zufrieden, wenn sie eine untergeordnete Rolle übernehmen können, während andere für sich eine Führungsrolle beanspruchen. Eine stärkere Mitsprache bei der Entscheidungsfindung kann – mit ärztlicher Unterstützung – sehr befriedigend sein. Und wenn ein Patient erst einmal erlebt hat, wie so etwas funktioniert, wird es vielleicht sogar zu seinem bevorzugten Vorgehen. Wie wir unten noch sehen werden, kann schon eine einfache Frage des Patienten das Gespräch eröffnen. Wichtig ist, dass die Patienten sich in ihre medizinische Versorgung eingebunden fühlen, wenn sie, unabhängig vom Grad ihrer Mitwirkung, als ebenbürtige Partner behandelt werden.