9. Reglementierung von Therapietests: hilfreich oder hinderlich?

Inzwischen wissen Sie, dass Therapien leider nur allzu oft nicht sorgfältig bewertet werden und dass unnötigerweise auch weiterhin Unsicherheit über die Wirksamkeit mancher Therapien herrscht. Paradoxerweise halten etliche Vorurteile, wie bereits in Kapitel 5 angemerkt, Ärzte davon ab, mit Patienten zusammenzuarbeiten, um auf diese Weise mehr über Therapieeffekte zu erfahren. So merkwürdig es auch anmuten mag, in den meisten Ländern tragen auch die für die Reglementierung der medizinischen Forschung verantwortlichen Institutionen zu diesem Problem noch bei, indem sie eine künstliche Aufteilung zwischen Forschung und Therapie erzwingen. Forschung gilt als hochriskante Tätigkeit, die nach einer strengen Aufsicht verlangt. Routinetherapien dagegen werden als deutlich weniger problematisch gesehen – und das, obwohl Patienten, wie wir gesehen haben, bei der Verabreichung von nicht oder nur unzureichend bewerteten Therapien außerhalb wissenschaftlicher Studien Gefahren ausgesetzt sein können.

Wer sagt, medizinische Forschung sei schlecht für Ihre Gesundheit?
«Die meisten Diskussionen über Ethik in der medizinischen Forschung betreffen die Frage, wie die Forschung reguliert werden soll. Tatsächlich ist die medizinische Forschung in vielerlei Hinsicht sehr viel strenger reglementiert als die medizinische Praxis. Und wenn Sie sich die unzähligen Richtlinien zur medizinischen Forschung einmal durchlesen, dann kann man Ihnen den Gedanken, dass medizinische Forschung genauso wie das Rauchen schlecht für Ihre Gesundheit sein muss, kaum verübeln.»

Hope T. Medical ethics: a very short introduction. Oxford: Oxford University Press, 2004, S. 99.

Warum gilt Forschung als so riskant und reglementierungsbedürftig, nicht aber die alltäglichen Therapien, von denen sehr viel mehr Patienten betroffen sind? Natürlich darf man nicht vergessen, dass Wissenschaftler in der Vergangenheit auch Missbrauch getrieben haben, u. a. in Experimenten, in denen Patienten ausgenutzt und als Mittel zum Zweck benutzt wurden. Und von Zeit zu Zeit geht in der Forschung auch tatsächlich etwas schief, sodass es also durchaus die eine oder andere Horrorgeschichte gibt. Zudem besteht auch immer die Sorge, dass Ärzte die persönlichen Interessen der Menschen, wenn diese erst einmal zu Probanden der Forschung geworden sind, den Gesamtinteressen der Forschung unterordnen.

Noch komplizierter wird die Situation durch die sehr unterschiedlichen Motive von Forschern: Während einige Forscher Studien in erster Linie zum Wohl der Allgemeinheit durchführen, stehen bei anderen als Motivation eindeutig Geld oder die Karriere im Vordergrund. Und manchmal lassen sich die Motive der Wissenschaftler auch gar nicht so genau beurteilen. Aus diesen Gründen kann Forschung auf die Patienten und die Öffentlichkeit durchaus beängstigend wirken. Das ist teilweise auch der Grund, warum Forschung im Gesundheitswesen so starken Reglementierungen unterliegt.

Unabhängige Gremien in der Forschung, die allgemein als Ethik-Kommissionen (engl. Research Ethics Committees, RECs, oder in den USA z. B. Institutional Review Boards, IRBs, in Deutschland die Ethik-Kommissionen an den medizinischen Fakultäten sowie in jedem Bundesland) bezeichnet werden, tragen dazu bei, Menschen vor Missbrauch im Namen der Wissenschaft zu schützen. Sie prüfen jedes Forschungsvorhaben und nehmen dazu Stellung, ob ein Projekt durchgeführt werden kann oder nicht. Zudem spielen sie eine wichtige Rolle im Rahmen der Forschungsaufsicht und geben der Öffentlichkeit die Gewissheit, dass ihre Interessen bei der Planung der zugelassenen Studien Berücksichtigung finden.

Ethik-Kommissionen bestehen häufig aus unbezahlten freiwilligen Experten, u. a. auch aus Laien. Sie prüfen verschiedenste Arten von Studienprotokollen (was die Wissenschaftler in ihren Forschungsvorhaben zu tun beabsichtigen, s. Kap. 8) und darüber hinaus auch alle Informationen, die den potenziellen Teilnehmern der Studie ausgehändigt werden. Ethik-Kommissionen können von den Wissenschaftlern Änderungen an ihren Studienprotokollen oder an den Informationen für Studienteilnehmer verlangen. Eine Studie darf ohne Zustimmung der Ethik-Kommission nicht durchgeführt werden. Ethik-Kommissionen sorgen also dafür, dass Studienteilnehmer keinen unnötigen Risiken ausgesetzt werden. Zudem geben sie sowohl den Teilnehmern als auch der Öffentlichkeit die Gewissheit, dass die Wissenschaftler nicht einfach tun können, was sie wollen.

Darüber hinaus unterliegt die Forschung auch noch vielen anderen Formen der Reglementierung. Die meisten Länder verfügen über forschungsspezifische gesetzliche Regelungen. So müssen sich beispielsweise alle Länder der Europäischen Union an die Clinical Trials Directive (Richtlinie 2001/20/EC) halten, in denen die Anforderungen an die Durchführung sogenannter «klinischer Prüfungen von Medizinprodukten» niedergelegt sind – im Wesentlichen geht es hierbei um Medikamentenstudien. In mehreren Ländern sind zudem Gesetzes- und Regelwerke in Kraft, die auch auf alle oder wenigstens die meisten Formen medizinischer Forschung Anwendung finden. Potenziell können sich auch viele andere Gesetze auf die Forschung auswirken, selbst wenn sie vorrangig nicht im Zusammenhang mit der Forschung erlassen wurden. So haben z. B. in vielen Ländern die Datenschutzgesetze, welche die Vertraulichkeit personenbezogener Daten schützen sollen, auch für die medizinische Forschung Gültigkeit. In den meisten Ländern sind üblicherweise auch verschiedene Behörden in die Forschungsreglementierung eingebunden.

Zudem wird die Durchführung von Forschungsprojekten auch durch das jeweilige Standes- oder Berufsrecht sowie durch internationale Vereinbarungen reguliert. Die Ärzteschaft und das Pflegepersonal sind beispielsweise an die Standes- oder Berufsordnungen ihrer Berufsverbände gebunden: Wenn sie diese Ordnungen verletzen, können sie ihre Zulassung verlieren oder müssen mit anderen Sanktionen rechnen. Bei der Festlegung von Standards sind oft auch internationale Erklärungen wie die Deklaration des Weltärztebundes (engl. World Medical Association) von Helsinki maßgeblich, selbst wenn sie keine Gesetzeskraft haben. In deutscher Übersetzung ist die Deklaration von Helsinki auf den Webseiten der Bundesärztekammer zu finden (www.bundesaerztekammer.de/downloads/deklHelsinki2008.pdf).